Daniela Mehler-Würzbach (Die Linke) © DIE LINKE. Frankfurt am Main

Daniela Mehler-Würzbach (Die Linke)

OB-Wahl 2023 — Zehn Fragen an Kandidatinnen und Kandidaten

hallofrankfurt
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8 min readFeb 15, 2023

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Bürgerbeteiligung

1. Wie wollen Sie die Bürger Frankfurts stärker über digitale Kanäle an den Entscheidungen der Stadtpolitik beteiligen? (max. 300 Wörter)

Die Stärkung der Bürger*innenbeteiligung ist mir ein sehr wichtiges Anliegen. Frankfurt gehört den Frankfurter*innen, deswegen müssen so viele Menschen wie möglich sich an der Gestaltung dieser Stadt beteiligen können. Es müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um den Kontakt zwischen den Menschen, die hier leben, und politischen Prozessen zu stärken. Die Message muss sein: „Du kannst Politik gestalten!“. Besonders über digitale Kanäle lassen sich viele Menschen relativ barrierearm erreichen und aktivieren. Heutzutage sind die verschiedensten Gruppen digital unterwegs. Vor allem junge Menschen nutzen Plattformen wie Instagram, Facebook, Twitter und TikTok. Dort lassen sich Inhalte, z.B. zu anstehenden Wahlen, interessanten Veranstaltungen, Informationen aus den Stadtteilen, Beratungsstellen vor Ort und auch Beteiligungsmöglichkeiten u.v.m. verständlich und teilweise unterhaltsam transportieren. Die ersten drei Plattformen sind heutzutage ein Muss für Organisationen; TikTok ist sehr hilfreich für die Einbindung besonders junger Gruppen.

Digitale Kommunikation muss zugänglich, verständlich, divers und inklusiv sein. Sie muss alle ansprechen und nicht nur einen kleinen Teil der Menschen. Es gilt Inhalte verständlich und einfach, mit einer zugänglichen Bildsprache, mindestens englische Übersetzung und Bildbeschreibungen für mehr Barrierefreiheit zu vermitteln. Auch die unterschiedlichen Lebensrealitäten der Menschen müssen mitgedacht werden. Um Frauen, LBGTIQ-Personen, People of Color und Menschen mit Behinderung anzusprechen, die im Alltag und auch in der digitalen Sphäre oft diskriminiert werden und unterrepräsentiert sind, ist eine inklusive, gendergerechte (Bild-)Sprache zentral.

IT- und Kommunikation

2. Frankfurt am Main ist weltweit einer der bedeutendsten Internetknotenpunkte. Was wollen Sie unternehmen, damit Frankfurt diesen Vorteil stärker ausspielt und das hessische Silicon Valley wird?

Ich will gar nicht, dass Frankfurt das hessische Silicon Valley wird. Erstens ist das real existierende Silicon Valley alles andere als ein leuchtendes Beispiel für digitale Innovationen im Sinne der Allgemeinheit und zweitens können Rechenzentren, die wie Pilze aus dem Boden schießen, doch wohl kaum für eine Kultur herhalten, die progressive digitale Innovationen befördert. Alles was sie schaffen ist Rechenleistung. Dafür verknappen sie in Frankfurt massiv Gewerbeflächen und sorgen für einen enormen Energieverbrauch, der mitnichten vorrangig durch Ökostrom gedeckt wird. Was wir brauchen ist eine Digitalisierung, die allen nützt und in der niemand abgehängt wird. Auf der einen Seite wachsen die Rechenzentren für den Finanzplatz, auf der anderen Seite fehlt es an den Schulen an Zeit, Konzepten und Personal um digitale Lernformen zu entwickeln und auch denen zugänglich zu machen, die nicht schon im teuren Smart Home leben. Ich will, dass alle von der Digitalisierung profitieren und nicht, dass sie Ausgangspunkt für eine neue digitale Spaltung wird. Frankfurt hat nichts davon, wenn wir eines Tages der Standort für die Hardware einer digitalen Welt sind, aber die Menschen die hier leben daran nicht teilhaben können.

Energie und Umwelt

3. Wie wollen Sie durch Digitalisierung in der Stadt Frankfurt das Klima und die Umwelt schützen?

Im Bereich Verkehr und Umwelt lassen sich mit smarter Sensorik das Klima und die Natur potentiell effizienter schützen. Die kürzlich online gegangene urbane Datenplattform Frankfurts wird den Bürger*innen und der Stadtverwaltung dazu viele hilfreiche Daten an die Hand geben. So sollen Sensoren zukünftig die Bewässerung von Stadtbäumen steuern und die Füllstände von Mülltonnen messen. Ein Funknetz soll das Umweltmonitoring, Verkehrsflüsse, das Parkraummanagement und die Liegenschaftsversorgung optimieren. In benachbarten Kommunen gibt es erste Erfahrungen mit sensorgesteuerten Frühwarnsystemen für Starkregen und den Winterdienst. Das ist auch in Frankfurt denkbar. Wichtigster Meilenstein im Prozess der Digitalisierung aber wird die weitere Entwicklung der Rechenzentren sein. Hier muss sichergestellt werden, dass sie mit Strom aus regenerativen Quellen betrieben werden und die Abwärme verpflichtend für anliegende Wohnhäuser oder Bürogebäude eingesetzt oder in den Fernwärmeverbund der Mainova eingespeist wird.

Wirtschaft

4. Wie wollen Sie junge, innovative und kreative (Digital-)Unternehmen nach Frankfurt holen?

Am Herzen liegt mir bei dem Thema Digitalisierung und Tech-Innovationen die Rückbindung an die ursprünglichen politisch-emanzipatorischen Ideen, wie sie u.a. in dem Cypherpunk Manifesto 1993 festgehalten wurden. Nämlich allgemeine Zugänglichkeit zu öffentlichem Wissen und das Prinzip von open source und free code bei gleichzeitigem Schutz der Privatsphäre mittels Kryptographie.

Diese innovativen Grundsätze wurden durch die datenbasierten Geschäftsmodelle im heutigen digitalen Kapitalismus stark aufgeweicht, weil Daten zum wertvollsten Rohstoff für Kapitalakkumulation geworden sind. Je detaillierter und aussagekräftiger die Daten, desto profitträchtiger deren Verwertung. Diese Logik steht konträr zum Datenschutz und versucht ihn daher zu umgehen. Diese Formen wirtschaftlicher Tätigkeit sind vielleicht kreativ bei ihrer Suche nach Umgehungsmöglichkeiten des Datenschutzes und der Sammlung von Daten, aber innovativ ist das nicht. Es führt ein sehr altes Prinzip der Kapitalakkumulation fort: Wer hat, dem wird gegeben.

Wenn Sie also wissen möchten, was ich beabsichtige zu tun, um innovative (Digital-)Unternehmen nach Frankfurt zu holen, ist für mich erst mal diese Differenzierung notwendig. Wenn (junge) Unternehmer*innen das Gemeinwohl statt Profitmaximierung als Grundsatz verfolgen und damit technische Neuerungen von ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und ihrer sozialpolitischen Konsequenz her entwickeln, kann das potentiell innovativ sein.

Um die entsprechenden Leute und diesen Ansatz hier in Frankfurt zu fördern, ist die kritische Auseinandersetzung mit Digitalisierungsphänomenen zentral. Als „Ökosystem“, wie das in der Tech-Branche immer gern genannt wird, obwohl es denkbar irreführend ist, dient neben erschwinglichen Büro- und Wohnflächen sowie einer lebendigen Club- und Kulturszene, vor allem eine Infrastruktur für eine öffentliche und fachübergreifende Debatte zu diesem Themenkomplex. Ich denke dabei an tolle Initiativen hier in Frankfurt z.B. das NODE Festival des Forum for Digital Art oder den Chaos Computer Club, diverse Veranstaltungsreihen der Bildungsinstitute sowie die Praxis des trans/feminist hacking. Diese Strukturen gilt es zu fördern und auszubauen, um einen kritischen Diskurs zu Algorithmen in ihrer Wechselwirkung mit Gesellschaft zu führen und auch (junge) Unternehmer*innen darin einzubinden, um Tech-Innovationen mit sozialökologischem Mehrwert zu entwickeln.

5. Was werden Sie unternehmen, damit sich Gründer und Startups in Frankfurt wohl fühlen?

Neben erschwinglichen Büro- und Wohnflächen sowie einer lebendigen Club- und Kulturszene setze ich auf eine Infrastruktur, die interdisziplinäre und öffentliche Debatten zur kritischen Auseinandersetzung mit der Wechselwirkung von Algorithmen und Gesellschaft ermöglicht.

Ich will eine Stadt für alle. Davon können auch Gründer*innen und Startups profitieren. Denn neben einer guten Infrastruktur und Rechtssicherheit sind es vor allem die Menschen, die in Frankfurt leben, die unsere Stadt lebenswert und damit auch erfolgreich machen können. Konkret geht es um gute Bildung, um sozialen Aufstieg und Teilhabe für alle. Noch viel zu viele Menschen hängt unser System ab. Dabei sind wir darauf angewiesen allen, die hier leben, die maximale Entwicklung zu ermöglichen. Die nächste Gründerin eines disruptiven Startups kommt vielleicht auch deshalb nicht aus Frankfurt, weil ihre Eltern nicht wissen, wie sie die Miete zahlen können und weil ihr Datenvolumen schon Mitte des Monats aufgebraucht ist. Als Chefin der Verwaltung werde ich mich auch dafür einsetzen, dass wir mit der Digitalisierung vorankommen. Mir geht es nicht darum Bürokratie abzubauen, sondern sie effizient einzusetzen und einfach zu machen. Denn von guter Bürokratie profitieren alle, sie produziert Verlässlichkeit und Rechtssicherheit. Ich kann mir gut vorstellen mit anderen Kommunen und klugen Köpfen Verfahren zu entwickeln und offene Standards zu nutzen um Verwaltung günstiger, effizienter, einfacher und damit besser zu machen. Gerade Startups erwarten das von der Stadt — profitieren sollen aber nicht nur sie davon.

Mobilität

6. Welche Lösungen stellen Sie sich vor, um Individualverkehr (eine Person mit einem PKW), Last-Mile-Logistik (Paketlieferdienste) und ÖPNV nachhaltig miteinander zu verbinden?

In Frankfurt ist das in Ansätzen schon unterwegs. Wir als LINKE haben im Stadtparlament eine integrierte Mobilitäts-App eingefordert und erreicht, dass die VGF und der RMV an der Weiterentwicklung ihres Angebots arbeiten. Da ist zwar noch zu viel Kirchturmdenken und jede Nahverkehrsorganisation und jeder Mobilitätsanbieter möchte da nichts umsonst preisgeben. Aber die Verfügbarkeit öffentlicher Daten werden die Betreiber in Zukunft zur Kooperation bringen.

Das ist auch in anderen Bereichen der Fall. Die Stadtverwaltung arbeitet aktuell daran, die digitale Mobilitätsplattform der Stadt als mobile Open Source-Lösung um digitale Services zu erweitern. So sollen Lieferanten Ladezonen buchen oder PKW-Nutzer*innen Information über bestehende Ladeinfrastruktur erhalten können. Der öffentliche Nahverkehr soll durch den Einsatz innovativer digitaler Lösungen effizienter und verlässlicher werden, dabei unterstützen digitale Ampelschaltungen. Ebenfalls durch intelligente Ampelschaltung soll eine bessere Steuerung des Autoverkehrs erreicht werden, die für kürzere Wartezeiten für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen sorgt und zu schnelleren sowie gefahrlosen Straßenüberquerungen führt. Mit Hilfe von Apps etwa zur Anpassung der Fahrgeschwindigkeit oder Navigationshilfe zu Parkraum und Ladestationen soll eine andere Möglichkeit zur Steuerung gegeben und unnötige Fahrten vermieden werden. Smartphones sollen auch zur Abrechnung von Parktickets genutzt werden können. Parkraumüberwachung und Parksensoren (Falschparken, Parken ohne Fahrschein) sollen mit Hilfe von digitalen Erfassungssystemen und datenschutzkonformen Lösungsprozessen für höhere Kontrolldichte und mehr Sicherheit sorgen.

Smart City

7. Was verstehen Sie unter Smart City? (max. 3000 Wörter)

Smart City ist ein Sammelbegriff für Konzepte und Maßnahmen, um eine Stadt mittels digitaler Anwendungen lebenswerter (transparenter, inklusiver und nachhaltiger) zu machen. Indem unterschiedliche Bereiche der Daseinsfürsorge intelligent miteinander verknüpft werden, sollen in der analogen Welt Effizienzfortschritte erzielt werden.

Ehrlich gesagt kann ich mit dem Begriff aber wenig anfangen. Es ist an sich nichts fundamental Neues, dass wir Technologie verwenden um unser Leben besser zu machen. Uns hilft aber ein Marketingbegriff nicht darüber hinweg, dass wir nicht einmal die geringen Anforderungen der Digitalisierung, etwa aus dem Onlinezugangsgesetz, als Kommune erfüllen können. Statt hochfliegender Techutopien ist es angebracht erst einmal die Hausaufgaben in der Verwaltung zu machen — und die sind riesig. Es wäre ja schon viel gewonnen, wenn man in Frankfurt schnell einen e-Perso bekommt, oder noch verrückter, ihn auch in der Stadt sinnvoll einsetzen kann.

8. Wie soll Frankfurt im Ranking des Smart City Index des BITKOM von Platz 33 (Stand 2022) unter die Top 10 kommen? Bitte nennen Sie fünf Maßnahmen, die Sie umsetzen werden.

  • Integrierte Digitalisierungsstrategie zügig und datenschutzkonform umsetzen und dafür geschultes IT-Personal gewinnen
  • Digitale Infrastruktur nachhaltig ausbauen (Glasfaser & freies WLAN)
  • Digitalen Bürgerservice erweitern (für Bürgerbüros & Stadtbücherei)
  • Urbane Datenplattform barrierefrei zugänglich machen
  • Smarte Sensorik für Umwelt-, Verkehrs- und Gebäudemanagement voranbringen

Gesellschaft

9. Welche aus der Bürgerschaft heraus organisierten Initiativen kennen Sie, die sich für Innovationen, Digitalisierung oder Startup- und Gründer engagieren?

Die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main, Node Festival des Forum for Digital Arts, Chaos Computer Club FFM, Algorithms in Context (Zusammenschluss von Künstler*innen, Forschenden und Studierenden an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main) und viele mehr

10. In welchem Bereich sehen Sie das größte Entwicklungspotential in Frankfurt?

Bei den Menschen. Viel zu viele werden abgehängt. Viel zu viele können sich und ihre Potenziale nicht entfalten, werden nie die glücklichen und klugen Menschen, die sie sein könnten, weil wir es hinnehmen, dass diese Stadt von enormer Ungleichheit geprägt ist. Wenn ich Oberbürgermeisterin bin, werde ich das nicht hinnehmen. Ich werde jeden Tag im Amt dafür nutzen, denen, die heute nicht davon zu träumen zu wagen auch nur ihre Grundbedürfnisse erfüllen zu können, Möglichkeiten zu eröffnen ihr Leben in unserer Stadt besser zu machen. Tag für Tag. Jedes Kind, jeder alte Mensch, schlicht alle müssen teilhaben an dem Wohlstand, den es in dieser Stadt ganz zweifellos gibt.

Kaum etwas in dieser Stadt ist schwerer zu ertragen als das Elend unter den Bankentürmen. Das ist etwas das meinen Blick auf Frankfurt immer geprägt hat. Ich glaube, bei den Menschen, die es heute am schwersten haben, denen es heute am schlechtesten geht, ist das größte Entwicklungspotenzial in Frankfurt. Wenn wir ihr Leben besser machen, wird es uns allen besser gehen.

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